Flitterwochen für einen Trainer-Zauberlehrling: Am 28. Dezember wird Marco Bayer unverhofft vom Cheftrainer der GCK Lions zum Bandengeneral der ZSC Lions befördert. Weil der charismatische Marc Crawford aus gesundheitlichen Gründen in seine kanadische Heimat zurückgekehrt ist. Eine grössere Herausforderung ist nicht denkbar. Vier Monate später steht Marco Bayer auf dem nationalen und auf dem europäischen Gipfel.
Erst gewinnt er die Champions Hockey League und dann verteidigt er den nationalen Titel. Eine atemlose Zeit, aufregend wie Flitterwochen. Die Mannschaft ist so ausgeglichen und talentiert, dass sich Sportchef Sven Leuenberger im Sommer auf ein paar transfertechnischen Handgriffe beschränken konnte (einziger namhafter Schweizer Transfer: Thierry Bader vom SCB). Er kann sich darauf verlassen, dass dank dem Farmteam der Konkurrenzkampf um die Plätze jede Form von Schlendrian bei den Hinterbänklern vertreibt. Die ZSC Lions haben alles für eine erfolgreiche nationale und internationale Titelverteidigung.
Auf einer Skala von 1 bis 10 Pucks.
Wer als Nothelfer kommt und die Meisterschaft und die Champions League gewinnt, verdient die Maximalnote. Punkt. Und doch gibt es eine bange Frage: Kann sich Marco Bayer, der die Flitterwochen so grandios gemeistert hat, nun auch im Alltag der Qualifikation durchsetzen? Seine fachliche Kompetenz steht nicht zur Debatte. Mit der Akribie (= äusserste Sorgfalt, grösste Genauigkeit), mit der er sich um seine Arbeit kümmert, mahnt er ein wenig an den grossen Scotty Bowman. Kann er mit Gelassenheit, die aus der Gewissheit kommt, alles Menschenmögliche für den Erfolg getan zu haben, und der Einsicht, dass das Wohl der Spieler wichtiger ist als sein Ego, fehlendes Charisma kompensieren? Das ist die alles entscheidende Frage bei den ZSC Lions.
Nichts hat sich geändert und es gibt keinen Grund, warum Simon Hrubec nicht wieder ein meisterlicher und europäischer Held werden kann. Und es gibt auch keinen Grund, warum Robin Zumbühl nicht wieder ein verlässlicher zweiter Torhüter sein kann.
Im Sturm werden Spiele, in der Verteidigung aber Meisterschaften gewonnen: Die ZSC Lions waren letzte Saison zum dritten Mal hintereinander die defensive Nummer 1 der Qualifikation. In keiner anderen Verteidigung stehen so viele grosse helvetische Spielerpersönlichkeiten: beispielsweise die WM-Silberhelden Dean Kukan und Christian Marti, der charismatische NHL-Veteran Yannick Weber oder der ewige Captain Patrick Geering. Die Gefahr ist gering, dass Schlendrian oder taktische Disziplinlosigkeiten die defensive Stabilität beeinträchtigen.
Dass die ZSC Lions vorletzte und letzte Saison offensiv nicht die Nummer 1, sondern die Nummer 2 und 3 der Liga waren, kann nicht an fehlendem Talent liegen. Denis Malgin ist an einem guten Abend der spektakulärste und eleganteste Stürmer ausserhalb der NHL und Sven Andrighetto einer der treffsichersten. Was beide auch bei der Silber-WM auf höchstem internationalem Niveau eindrücklich bewiesen haben. Die Offensive der Zürcher ist nicht auf Spektakel und maximalen Ertrag ausgerichtet. Sondern auf eine sehr gute Durchmischung mit verschiedenen Spielertypen. Das bedingt ein bisschen weniger Egoismus und ein wenig mehr Integration ins System und in die defensive Verantwortung. Das macht in entscheidenden Spielen, wenn es darum geht, geduldig einen Gegner vom Eis zu arbeiten oder hartnäckigen Widerstand zu brechen, – in den Playoffs – die Differenz. Und warum nicht die Maximalnote? Weil die Wucht und Präsenz des finnischen Titanen Juho Lammiko (wechselt zu New Jersey in die NHL) und die Energie und Hartnäckigkeit von Vinzenz Rohrer (auch er zügelt nach Nordamerika) nicht vollwertig ersetzt werden konnten.
Es ist einfacher, in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad ein Gotteshaus mit dem Segen der Regierung zu errichten, als in Zürich ein Sportstadion zu bauen. Genau dieses Kunststück haben die ZSC Lions geschafft und eines der besten Hockeystadien ausserhalb Nordamerikas finanziert und errichtet. Sie sind politisch in der Stadt gut vernetzt (was nicht einfach ist) und wirtschaftlich sowieso (was ein wenig einfacher ist). Sie haben keine Geldsorgen, sie hegen und pflegen die grösste Nachwuchsorganisation im Land und investieren klug in ein Farmteam. Sie haben in allen Führungspositionen starke, fähige Fachkräfte installiert. Wohlwissend, dass am Ende des Tages nicht Geld und Strukturen, sondern fähige Führungspersönlichkeiten den Erfolg ermöglichen. Kurzum: Sie machen seit Jahren alles richtig. Eine Garantie für eine erfolgreiche Titelverteidigung ist das nicht. Aber die Garantie dafür, dass alles Menschenmögliche unternommen wird, um zum dritten Mal hintereinander Meister zu werden.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
War es je so schwierig, Mannschaften einzuschätzen wie vor der Saison 2025/26? Nein, wahrscheinlich nicht. Wir wissen zwar aus Erfahrung, dass es mindestens eine Überraschungs-Mannschaft und einen strauchelnden Titanen geben wird. Aber wer wird positiv überraschen? Langnau? Ambri? Ajoie? Und wer gerät in den Strudel einer Krise? Erneut der Servette? Aber vielleicht helfen ja unsere Noten bei der Einschätzung.
Statistiken sagen viel. Aber alle haben sie. Gibt es mehr als nur diese allgemein zugänglichen Zahlen? Ja. Eine Bewertung jedes einzelnen Spielers. Deshalb benoten wir jeden unserer Helden des rutschigen, eisigen Spielfeldes. Wir polemisieren damit sozusagen nach Noten. Aber leicht machen wir uns die Sache nicht. Unsere Noten basieren bei Weitem nicht nur auf unserem unzulänglichen Urteilsvermögen. Wir folgen auch den Einschätzungen der wahren Kenner, der Trainer, Sportchefs, NHL-Scouts. Und ein Problem können wir nicht lösen: Alle Beurteilungen basieren auf den Leistungen in der Vergangenheit. Was einer in Zukunft leisten wird, bleibt reine Spekulation.
Wenn wir wissen wollen, wie gut eine Mannschaft ist bzw. sein wird, können wir einfach den Noten-Durchschnitt ausrechnen. Oder? Aber so einfach ist es leider nicht. Ob aus hochkarätigen Spielern mit hohen Noten tatsächlich eine starke Mannschaft wird, ist nämlich höchst ungewiss. Es ist keineswegs sicher, dass eine Mannschaft tatsächlich so gut spielt, wie sie es aufgrund der Bewertung der einzelnen Spieler eigentlich müsste. Das zeigt auch, welche Gestaltungskraft gute Trainer haben. Sie können mehr aus einem Team herausholen, als unsere Noten vermuten lassen. Unsere Noten sagen letztlich noch nichts über die Mannschaft. Wer sich bei den Prognosen trotzdem auf diese Noten verlässt, ist selbst schuld.
Warum nicht Rang 1? Das wäre doch bei einer so hohen Bewertung logisch? Aber nach zwei Titeln ist eine gewisse Sättigung auch in einer sehr guten Leistungskultur nicht zu verhindern. Wer Meister werden oder bleiben will, muss nicht vom September bis im März Abend für Abend an seine Limiten gehen.